2014-12-01

Kunst der Linie Eröffnungsrede

Einführung „Kunst der Linie“

Herzlich willkommen zur Eröffnung unserer neuen Ausstellung hier im art studio „Zweig“ – die erste nach der Sommerpause mit den beiden Hauskünstlerinnen Christa Zoch und Zoya Shubina, und auch die erste hier in diesem Haus von Yuki Klink, die aus Japan stammt aber hier in Borgfeld jetzt ihr Zuhause hat.
Im Mittelpunkt steht ein zunächst mathematisch anmutender Begriff, ohne den aber in der Bildenden Kunst eigentlich auch kaum etwas geht: Die Linie. Nun ist das ein Begriff, der verschiedene Deutungen zulässt, was aber noch mehr seine Allgegenwart in unserem Leben betont. Wir fahren mit einer Buslinie, wir haben unsere Linie verloren, wir haben eine rote Linie überschritten – oder auch Angst um unsere schlanke Linie. Linien halten das Leben zusammen, sie sind ein wesentlicher Teil auch unseres Denkens.
Dabei ist das erwähnte Überschreiten der „roten Linie“ ein Hinweis auf etwas Verbotenes. In der Kunst ist so eine imaginäre Linie immer wieder überschritten worden – und hat dadurch Veränderungen und auch Bereicherungen ermöglicht. Bis dahin, dass es eine allgemeingültige Linie eigentlich nicht mehr gibt. Gut, auch im Mainstream-Betrieb der heutigen Kulturszene werden Linien gezogen – aber sehr willkürlich und zum Teil ohne inhaltliche oder kunstphilosophische Logik. Und schon Picasso hatte ja darauf hingewiesen, dass man zu seiner Zeit das gleiche Thema ganz unterschiedlich behandeln konnte: realistisch – grafisch – abstrakt. Puristen hören das natürlich nicht gern…

Wie dem auch sei: Zu keiner Zeit haben die Künstlerinnen und Künstler ganz „die Linie“ verloren – weil, siehe oben, ohne sie nicht viel geht. Und so können wir uns freuen, heute verschiedene Auseinandersetzung mit diesem zunächst einmal geometrischen Element zu erleben – gerade auch deshalb, weil die Ausstellung über den mitteleuropäischen Raum hinausgeht, also auch hier eine Linie überschreitet. Yuki Klink präsentiert hier Bilder, die der Kunst des shodo zuzurechnen sind –jener berühmten, rund 2000 Jahre alten Schönschreib-Kunst. Shodo heißt denn auch: Die Kunst des Schreibens. Wir kennen das unter dem Namen „Kalligraphie“. Und die war übrigens auch ein Element der Grundausbildung eines jeden Samurai-Kämpfers. Pinsel und Schwert, so erfuhr ich, waren quasi gleichberechtigt.

Ein weiterer japanischer Begriff muss hier noch ins Spiel gebracht werden: der des wabi sabi.
Das ist das mit dem Zen-Busshismus verbundene Konzept der Wahrnehmung von Schönheit, Schlichtheit und Feinheit, in deren Darstellung auf ein Minimum reduziert. Wie wir hier auf eindrucksvolle Weise bestätigt finden. Und denken Sie nun bitte nicht, weil es sich hier um „Schönschrift“ handelt, würden die Zeichen einfach niedergeschrieben. Nein, der Entstehungsprozess eines shodo ist mitunter langwierig und beinhaltet viele Entwürfe, bis am Ende die Komposition auch stimmig ist. Dem Schreibvorgang gesellt sich, wie eben bei Kunst notwendig, der des Komponierens hinzu.
Und der wiederum folgt der quasi sakralen Bedeutung der alten Schriftzeichen, in denen man eine Himmelbotschaft erkennen kann.

Genaueres erfragen Sie am besten nachher im Gespräch mit der Künstlerin – einen Satz aus dem Text, den mir Yuki gegeben hat, möchte ich jedoch hinzufügen:
Besonders wichtig bei der japanischen Kalligraphie ist die lebendige Linie, die Ausgeglichenheit zwischen allen Elementen des Werkes.“

Und damit sind wir wieder beim Thema dieser Ausstellung, das auch von Zoya Shubina und Christa Zoch auf unterschiedliche und individuelle Weise bearbeitet wurde:

Christas Kompositionen scheinen auf den ersten Blick abstrakt. Sie enthüllen eine Vielzahl von Linien – einige scheinen endlos zu sein und in ihrer Endlosigkeit einen eigenen Kosmos zu schaffen. Aus diesem heraus erwächst uns wieder ein Bild, dem unsere Fantasie an manchen Stellen auch gern einen „realistischen“ Ausdruck verpassen möchte. Ich denke, das ist auch durchaus gewollt. Und mich persönlich fasziniert auch gerade dieser Aspekt: Es scheint ja ein Widerspruch in sich zu sein, dass die Endlosigkeit uns Halt zu geben scheint. Und ich denke, vielleicht kommen wir auch mit diesem Endlos-Begriff nicht weiter, sondern eher mit dem des Kreislaufs. Ein Wort, das wir auch aus unserem Leben kennen – ohne funktionierenden Kreislauf geht gar nichts – so es eben auch schwer wird, wenn wir unsere Linie verloren haben. Was wiederum etwas anderes ist, als wenn wir von unserer Linie abweichen. DAS ist oft ein bewusster Prozess.
Und DAS beobachte ich im besten Sinne oft bei Christa – Du magst mir verzeihen, wenn ich hier „falsch“ liege, denn ich habe Dir meinen Text nicht vorher gezeigt…
Ich habe mitunter das Gefühl, Du zwingst mich, von meiner gedanklichen Linie abzuweichen, aber ich lande dann nicht im Nirgendwo, sondern entdecke neue Linien, durch die sich Deine Kunst mir neu und vor allem: näher erschließt.

Und schließlich Zoya Shubina mit ihren realistisch anmutenden Landschaften und Naturzeichnungen. Ja, klar. Man erkennt, was Zoya uns zeigen will. Bäume, Vögel, das Meer, den Himmel, oder die Silhouette einer Stadt. Aber wie tut sie das? Indem sie einfach ein Foto mit den Linien ihrer Tusche neu zeichnet? Niemals! Zoyas realistische Kunst ist nie auf diese Weise realistisch. Auch sie zwingt uns, auf neue Linien einzuschwenken. Oder auch: das Phänomen „Linie“ einmal ganz außer Acht zu lassen. Was wären die Linien auf Zoyas Zeichnungen ohne die Flächen, auf denen die Linien fehlen? Oder im Nichts unterzugehen scheinen? Verlieren wir da die Linie, oder hat Zoya sie verloren? Nein: Die Linien bekommen Kraft auch und gerade durch die Freiheit zwischen ihnen. Das ist wie in der Musik und zeigt auch Zoyas Verbundenheit mit der Musik: Ohne Pausen würde die Tonkunst ihre Dynamik verlieren. Und, wie wir hier bei Zoya deutlich vor Augen geführt bekommen, eben nicht nur die klingende, sondern auch die Bildende Kunst. Denn schauen wir zum Beispiel auf das Meer. Wellenlinien sind Fehlanzeige – mitunter sehen wir eine weiße Fläche. Die aber uns aber deutlicher als jeder Strich das Meer zeigt. Und es dabei uns überlässt, wie wir es sehen.
Und so sind wir gehalten, eben nicht nur auf die Linie zu achten, sondern darauf, was sich in ihrem Umfeld abspielt – und diese Aussage führt uns zurück zu Yuki, in deren Text zur shodo-Kust noch zu lesen ist:
Besonders wichtig bei der japanischen Kalligraphie ist die lebendige Linie, die Ausgeglichenheit zwischen allen Elementen des Werkes. ‒ allen Linien, allen Punkten, auch den Tropfen der Tusche und den Leerräumen dazwischen.
Jedes Element vermag Bände zu sprechen.

Das also gilt überall – bei Christa, bei Zoya und eben auch bei Yuki, die uns außerdem noch mit einer Präsentation von japanischen Puppen bereichert, die ebenfalls alle von ihrer Hand stammen und zum Phänomen Linie noch das der Dreidimensionalität hinzufügt. Am Freitag, dem 7. November um 17 Uhr wird uns Yuki übrigens näher in die Kunst der Kalligraphie und der Puppenschöpfung einführen.

Wolfgang Stapelfeldt

Keine Kommentare: